Vielleicht vergeht uns so der Rest der Jahre.
Vielleicht vergeh’n die Schatten, die uns störten.
Und die Gerüchte, die wir kürzlich hörten,
die finster waren, waren nicht das Wahre.
Vielleicht, dass sie uns noch einmal vergessen.
So wie wir gern sie auch vergessen hätten.
Wir setzen uns vielleicht noch oft zum Essen.
Vielleicht sterben wir noch in unsern Betten.
Vielleicht, dass sie uns nicht verdammen, sondern loben.
Vielleicht gibt uns die Nacht sogar das Licht her.
Vielleicht bleibt dieser Mond einst voll und wechselt nicht mehr.
Vielleicht fällt Regen doch von unten nach oben.
Vielleicht fällt Regen doch von unten nach oben.
Text: Bertolt Brecht (1934)
Melodie: Hanns Eisler (1934)
Anmerkung:
1932 begann Bertold Brecht an dem als Parabel angelegten Theaterstück „Die Rundköpfe und die Spitzköpfe“ zu arbeiten. Angesichts des aufkommenden, dann siegreichen Hitlerfaschismus in Deutschland wurde das Stück mehrfach umgeschrieben und schließlich 1936 In Brechts dänischem Exil in Kopenhagen uraufgeführt.
Das Lied wird auch als „Rundgesang der Pachtherren“ bezeichnet. Nach einer trickreichen Niederschlagung einer Rebellion der armen, ausgebeuteten Pächter sitzen ihre Herren „rauchend zurückgelehnt“ auf einem Hügel und betrachten ihren „Sieg“.
Es ist eine mit kleinen Selbstzweifeln behaftete Selbstbefragung: wird man es wohl weiterhin schaffen, immer wieder aufs neue diese Herrschaft zu stabilisieren?
Wenn wir nun heute uns selbst und die Konsum- und Produktionsweise der sogenannten ersten Welt als unsere Art des „Pachtherrentums“ begreifen, so sind diese Selbstzweifel durchaus angebracht. (M.P.)
Und es sind die finstern Zeiten in der fremden Stadt
Doch es bleibt beim leichten Schreiten und die Stirn ist glatt
Harte Menschheit unbeweget, langerfror’nem Fischvolk gleich
Doch das Herz bleibt schnell geregelt und das Lächeln weich.
Et les temps ils sont si sombres dans les cités sans nom
Mais le pas reste malgré tout léger et lisse le front
Humanité dure tant insensibles des poissons morts longtemp au froid
Mais le battement du coeurs reste vite reglé et le sourire bien plat
Text: Bertold Brecht (1943)
Übersetzung: Andreas Debatin (2017)
Melodie: Hanns Eisler (1954)
An jenem Tag im blauen Mond September
still unter einem jungen Pflaumenbaum,
da hielt ich sie, die stille, bleiche Liebe
in meinem Arm wie einen holdenTraum.
Und über uns im schönen Sommerhimmel
war eine Wolke, die ich lange sah,
sie war sehr weiß und ungeheuer oben,
und als ich aufsah, war sie nicht mehr da.
Seit jenem Tag sind viele, viele Monde
geschwommen still hinunter und vorbei.
Die Pflaumenbäume sind wohl abgeschlagen,
und fragst du mich, was mit der Liebe sei?
So sag ich dir: ich kann mich nicht erinnern,
und doch, gewiss, ich weiss schon, was du meinst.
Doch ihr Gesicht, das weiss ich wirklich nimmer,
ich weiss nur mehr: ich küsste es dereinst.
Und auch den Kuss, ich hätt ihn längst vergessen,
wenn nicht die Wolke dagewesen wär,
die weiss ich noch und werd ich immer wissen,
sie war sehr weiss und kam von oben her.
Die Pflaumenbäume blüh’n vielleicht noch immer,
und jene Frau hat jetzt vielleicht ihr siebtes Kind
doch jene Wolke blühte nur Minuten,
und als ich aufsah, schwand sie schon im Wind.
Text: Bertold Brecht (1920)
Melodie: trad.
Anmerkung:
„Erinnerung an die Marie A.“ ist nur auf den ersten Blick ein „romantisches“ Gedicht.
Eher ist es eine kleine, feine und etwas fiese Lügengeschichte.
Zum biografischen Hintergrund:
Der junge Brecht umwarb zwei Schwestern. Die ältere, Maria oder Marie genannt, wollte von ihm nichts wissen. Die jüngere, auch Maria Rosa oder Marie genannt, ließ sich zunächst auf ihn ein, dann wurde er ihr zu aufdringlich und sie gab ihn weiter an ihre Turnfreundin Paula Banholzer.
In einem späteren Interview erzählte Marie Rose Amann, dass sie sehr froh darüber gewesen sei, dass nun „Paula das uneheliche Kind von Brecht bekommen musste und nicht ich selber.“
Der junge, selbsternannte Don Juan konnte diese Zurückweisung nur schwer verkraften.
„Ich kann also die Rosmarie nicht mehr küssen…. ich kann andere küssen, natürlich! Ich sehe 100 Münder vor mir, sie verschmachten ohne meinen Kuss. Aber die Rosmarie …. Kreuzteufel. Was sind 100 Möglichkeiten gegen eine Unmöglichkeit!“
Die Kränkung sitzt tief. Er rächt sich, erlügt einen Liebesakt, den es so wohl nie gegeben hat, und – mehr noch – demütigt die vermeintliche Geliebte mit der Vergesslichkeit eines Herzensbrechers, der sich leider nicht an alle Gesichter seiner gebrochenen Herzen erinnern kann.
Nun ja, jeder Macho, jede Machisma muss hin und wieder mit solchen Niederlagen klarkommen.
Nicht immer entsteht dabei ein so verlogenes, so großartiges Gedicht! (M.P.)
Sieben Rosen hat der Strauch
Text: Bertold Brecht (1950)
Musik: Martha Primavesi / Roman Beilharz (2016) (frei nach Paul Dessau)
Sieben Rosen hat der Strauch,
sechs gehör’n dem Wind,
aber eine bleibt, dass auch
Ich noch eine find.
Sieben Male ruf ich dich.
sechsmal bleibe fort,
doch beim siebten Mal versprich,
komme auf ein Wort!
Yedi gülü dalın var
Übersetzung: Kerem Çalışkan
altisini yel alır
yedincisini o bıraki
o da bana adanır.
Yedi kez cagırırım seni
altı kez gelme
ama yedincisinde söz ver
gel tek bir sözcükle!
Seven roses on the shrub
Übersetzung: Lesley Lendrum
the wind takes six away
but the seventh doesn’t fall so just
one for me will stay
Seven times I’ll summon you
six times stay away
but the seventh proimise me
come without delay
1
Auch am Abend hat sich nichts gebessert
Morgen ist und Mittag jetzt verbraucht
Ach, wir haben unser Meer verwässert?
Und das Meer war einst, so sagt man jetzt, erlaucht!
2
Ja, wir haben jetzt bald kein Gesicht mehr
Sind verstummt nicht mangels Arschs noch Munds
Dieses Land legt auf uns kein Gewicht mehr
Und die Städte sind noch nicht für uns.
3
Doch wer freut sich nachts nicht eines Daches?
Uns ziemt zu leben ziemlich ungehemmt
Früh im Rausch das Elend sprechend, sprach es:
Ach, wir sind einander völlig fremd.
Text: Bertold Brecht (1922)
Melodie: Martha Primavesi (2017)
Anmerkung:
Eine Freundin sagte mir: „Dieses Gedicht verstehe ich nicht!“
Ich antwortete: „Es ist das Gedicht eines jungen, ehrgeizigen und lebenshungrigen Mannes, der – aus dem beschaulichen Augsburg angereist – das Tages- und Nachtleben einer Großstadt in vollen Zügen genießt ohne die Schattenseiten dieser Stadt zu ignorieren. Ein Gedicht für Seinesgleichen.“
Ortswechsel: Köln Bahnhof-Ehrenfeld, ein typisches, hässliches Bermuda-Dreieck, jede große Stadt hat solche Ecken. Schnittpunkt der Vorort- und Straßenbahnen, hier existieren (noch)„urbane“ Fabrik-und Lagerhallen, angefüllt mit Clubs und Szenelokalen. Morgens zwischen 4 und 6 Uhr treffen die aus den Clubs Kommenden die zur Arbeit huschenden Frühpendler. Man beachtet sich kaum.
Die große Gemeinsamkeit: latentes Schlafdefizit und Reste klaren Denkens.
Im Hofe steht ein Pflaumenbaum
der ist klein, man glaubt es kaum
Er hat ein Gitter drum
So tritt ihn keiner um
Der Kleine kann nicht größer wer’n
Ja, größer wer’n, das möcht‘ er gern
’s ist keine Red davon
Er hat zu wenig Sonn‘.
Den Pflaumenbaum glaubt man ihm kaum
Weil er nie eine Pflaume hat
Doch er ist ein Pflaumenbaum
Man kennt es an dem Blatt.
Text: Bertold Brecht (1934)
Melodie: Martha Primavesi (2016)
Anmerkung:
Der Pflaumenbaum ist Teil einer Serie von Kinderliedern, die Brecht in seine „Svendborger Gedichte“ aufgenommen hat. Walter Benjamin kommentierte das Gedicht so:
“Im Laufe der Jahre wandte sich der lyrische Anteil Brechts an dem Pflaumenbaum dem zu, worin er den Menschen, deren Fenster auf seinen Hof hinausgehen, ähnlich ist: dem Mittelmäßigen und dem Verkümmerten.“
Nach Neuvertonung und erster Aufnahme lag dieses Lied einige Wochen irgendwie halbfertig herum, bis Raimund Lippok kam und dem lausigen Kazoo endlich die Stirn bot. Die sympathische Geschichte vom Pflaumenbaum, der trotz aller Widrigkeiten seine Identität nicht verliert, bekam so drei absolut gleichwertige Interpreten: Gesang, Kazoo & Tuba. Ein Glücksfall, drei selbstbezogene Solisten unter einen Hut zu bringen. Das haben bisher nur die „drei Tenöre“ geschafft. (M.P.)
Sieh diese Stadt und sieh: sie ist alt
Erinnere dich, wie lieblich sie war!
Jetzt betrachte sie nicht mit dem Herzen, sondern kalt
Und sage: sie ist alt.
Komm mit mir nach Georgi
Dort bauen wir halt eine neue Stadt
Und wenn die zu viele Steine hat
Dann bleiben wir nicht mehr da.
Sieh diesen Mann und sieh: er ist alt
Erinnere dich, wie gut er einst aussah!
Jetzt betrachte ihn nicht mit dem Herzen, sondern kalt
Und sage: er ist alt.**
Sieh diese Frau und sieh: sie ist kalt
Erinnere dich, wie schön sie einst war!
Jetzt betrachte sie nicht mit dem Herzen, sondern kalt
Und sage: sie ist alt.
Komm mit mir nach Georgia.
Dort lass uns zu neuen Männern gehen
Und wenn die wieder alt aussehen
Dann bleiben wir nicht mehr da!**
Komm mit mir nach Georgia
Dort laß uns schaun nach neuen Fraun
Und wenn diese Fraun wieder alt ausschaun
Dann bleiben wir nicht mehr da.
Sieh deine Ansichten und sieh: sie sind alt
Erinnere dich, wie gut sie einst waren
Jetzt betrachte sie nicht mit dem Herzen, sondern kalt
Und sage: sie sind alt.
Komm mit mir nach Georgia
Dort, wirst du sehn, gibt es neue Ideen
Und wenn die Ideen wieder alt aussehn
Dann bleiben wir nicht mehr da.
Text: Bertold Brecht (1925)
Melodie: Martha Primavesi (2017)
Anmerkung:
In den siebziger Jahren gab es einige eher romantisierende Vertonungen und Interpretationen dieses Textes. Nun, die Zeiten haben sich sehr geändert. Damals stand die Sinn- und Sinnesfreudensuche im Zentrum des Interesses. Es gab eine Aufbruchstimmung. Die Rucksacktouristen auf der Suche nach dem anderen, besseren Leben gelangten in die entlegensten Winkel der Erde. Was auch immer sie dort wollten und erfuhren, sie kamen (fast) alle wieder zurück. Einige sind bis heute engagierte Kämpferinnen und Kämpfer für eine bessere Welt, manche sind Zyniker, andere klappern als rüstige deutsche Rentner auf Kreuzfahrtschiffen die alten Ziele ab, oder aber sie verkaufen als ergraute Alt-68er-Eminenz beispielsweise auf Ibiza „originalen Hippieschmuck“, made in China.
Und aus so manchem erträumten Paradies wurde die Vorhölle. (M.P.)
1
Auf die Erde voller kaltem Wind
kamt ihr alle als ein nacktes Kind.
Frierend lagt ihr ohne alle Hab‘,
als ein Weib euch eine Windel gab.
2
Keiner schrieb euch, ihr wart nicht begehrt,
und man holte euch nicht im Gefährt.
Hier auf Erden wart ihr unbekannt,
als ein Mann euch einst nahm an der Hand.
4
Von der Erde voller kaltem Wind
geht ihr all‘ bedeckt mit Schorf und Grind,
fast ein jeder hat die Welt geliebt,
wenn man ihm zwei Hände Erde gibt.
Text: Bertold Brecht (1921)
Melodie: Hanns Eisler (1955)
Anmerkung:
Eine Gedichtstrophe wurde in der Komposition nicht miteinbezogen.
Ich möchte sie nicht vorenthalten, es ist die Strophe 3:
3
Und die Welt, die ist euch gar nichts schuld
Keiner hält euch, wenn ihr gehen wollt
Vielen, Kinder, wart ihr vielleicht gleich
Aber viele weinten über euch.
Pére Joseph hat kein Dach überm Kopfe
Überm Hintern sein Weib hat kein Hemd
Doch kocht sie für ihn was im Topfe
Am Rain im gestohlenen Topfe
Hat Père Joseph sich vorm Mahle gekämmt.
„Mutter, mach was extra Exquisites!
Für ’nen armen Hund ist nichts zu schad.
Mutter, lass dir Zeit , spar nicht mit Geschicklichkeit!
Mach was extra…halt, der Schnittlauch für ’n Salat.“
Père Joseph, in der Salpêtrière
Für den Paffen hat er keine Zeit
Und als ob es von seinem Gelde wäre
Bestellt er ’ne Henkersmahlzeit:
„Wärter, mach was extra Exquisites!
Für ’nen armen Hund ist nichts zu schad.
Kinder, lasst euch Zeit, spart nicht mit Geschicklichkeit
Und vergesst mir nicht den Schnittlauch für ’n Salat.“
Text: Bert Brecht (1948/1949)
Melodie: Hanns Eisler (1948/1949)
Anmerkung:
Dieses Lied stammt aus dem Theaterstück „Die Tage der Commune“.
Die Salpêtrière wurde einmal als das „größte Asyl“ Europas bezeichnet. Seit ihrer Existenz ab 1657 steckten die jeweils in Frankreich Herrschenden dort alles hinein, was man im Alltag auf den Pariser Strassen nicht haben und sehen wollte. Arme, Prostituierte, Geisteskranke, fahrendes Volk, Musikanten, Bettler, und – wenn es die politische Lage erforderte – wurde die Anstalt zu einem Massengefängnis inkl. Folterkellern und Hinrichtungsstätte.
So auch bei der äußerst blutigen Niederschlagung der „Pariser Kommune“, die im Schatten des deutsch-französischen Krieges versuchte – gegen den Willen der konservativen Zentralregierung – Paris sozialistisch zu verwalten. Die 72 Tage währende Volksherrschaft brachte – neben sozialen Leistungen wie Vergesellschaftung und Armenfürsorge – den Frauen die Gleichberechtigung und sorgte für die Trennung von Kirche und Staat. Durch die Hilfe Bismarcks gelang es der konservativen Regierung unter Thiers das nötige Truppenaufgebot nach Paris zu schicken und den Widerstand der Kommunarden mit großer Brutalität zu brechen. (M.P.)
Oĝlumuz hasta,
babası hapiste,
senin yorgun ellerinde aĝır başın,
dünyanın hali gibi halimiz…
Insanlar, daha güzel günlere insanları taşır,
oĝlumuz iyileşir,
babası ҫıkar hapisten,
güler senin altın gözlerinin iҫi,
dünyanın hali gibi halimiz…
21. September 1945
Übersetzung: Gisela Kraft
Unser Sohn ist krank,
sein Vater ist im Knast,
dein Kopf liegt schwer in deinen müden Händen,
es geht uns, wie es der Welt geht…
Menschen tragen Menschen in schönere Zeiten,
unser Sohn wird gesund,
sein Vater verläßt den Knast,
deine goldenen Augen lachen von innen,
es geht uns, wie es der Welt geht…
Text: Nâzım Hikmet (1945)
Melodie: Martha Primavesi (2017)
Anmerkung:
Der türkische Schriftsteller Nâzım Hikmet, 1902 in Thessaloniki geboren und in Aleppo und Istanbul aufgewachsen, verbrachte sein halbes (erwachsenes) Leben im Gefängnis und die andere im Exil.
Hikmet war Kommunist. Und Dichter. Er konnte das trennen. Die türkischen Behörden nicht.
Die meisten seiner eigenen Arbeiten hat Hikmet nie gedruckt gesehen. Von 1936 bis 1965 bestand in der Türkei sogar ein striktes Publikationsverbot. Seine Berühmtheit, so Gisela Kraft, die seine Werke ins Deutsche übersetzte, beruhe wohl am wenigsten auf der Kenntnis seiner Werke. Er wurde wegen seiner Standhaftigkeit gerühmt. Sein Leidensweg durch die türkischen Gefängnisse machten ihn zum Märtyrer. Das Verbot seiner Werke verstärkte diese Wirkung. Die wenigsten Türken hatten ihn gelesen, aber jeder kannte ihn. Er wurde berühmt, er wurde populär. Er wurde zum Mythos.
Hikmet sagte einmal, er habe in seinem ganzen Leben nie ein Gefängnis verlassen, ohne dass alle Mitgefangenen lesen und schreiben konnten. Darauf sei er stolz.
Hikmets Leben bestand aus Verfolgung, Haft, Folter, aus Angst und Hoffnung. Und aus Liebe. Er kämpfte nicht gegen etwas, sondern immer für etwas. Er blieb ungebrochen bei seiner festen Überzeugung „Das Leben ist schön“ und – seine Verse zeigen es – auf sonderbare Weise sanft.***
Und endlich stirbt die Sehnsucht doch,
wie Blüten sterben im Kellerloch,
die täglich auf ein bisschen Sonne warten.
Wie Tiere sterben, die man lieblos hält.
Und alles Unbetreute in der Welt.
Man fragt nicht mehr, wo wird sie sein?
Ruhig erwacht man, ruhig schläft man ein.
Wie in verwehte Jugendtage blickst du zurück.
Und irgendjemand sagt dir leis‘: Es ist dein Glück .
Da denkst du, dass es vielleicht wirklich so ist.
Wunderst dich still, dass du doch nicht froh bist.
Text: Peter Altenberg (1903)
Melodie: Hanns Eisler (1953)
Anmerkung:
Peter Altenberg, geboren 1859 In Wien und dort auch 1919 gestorben, war ein österreichischer Schriftsteller, den man schon zu Lebzeiten als Meister der Kurzprosa bezeichnete.
Nach einigen fehlgeschlagenen Versuchen, zu studieren und ein normales Berufsleben aufzunehmen, attestierte ihm ein Arzt wegen „Überempfindlichkeit des Nervensystems“ Berufsunfähigkeit. Von nun an führte er das Leben eines Bohemiens und verbrachte die meiste Zeit in Kaffeehäusern. Bis an sein Lebensende war er auf Spenden seiner ihn wertschätzenden, literarischen Freunde und Freundinnen angewiesen. Karl Kraus schloss seine Grabrede am 11.Januar 1919 mit den Worten: „Wehe der Nachkommenschaft, die Dich verkennt!“ ****
Der Herr ist aufs Feld gegangen,
in der Luft hat er herumgeschossen.
Herunterkommen ist die Graugans.
Ja, ja!
Sie ist sechs Jahr aus der Luft gefallen.
Dein Weib und mein Weib haben sechs Jahr daran rupfen müssen.
Ja, ja!
Haben sechs Jahr daran braten müssen,
auf den Tisch haben sie’s dem Herrn stell’n müssen.
Seine Gabel ist ihm darin stecken blieben.
Sein Messer ist ihm darin abgebrochen.
Ja, ja!
Der Sau hat er’s vorgeworfen,
die Sau hat’s nicht fressen können,
es hat ihr das Maul zerrissen.
Ja, ja!
Der Herr hat’s in die Mühl‘ geschmissen,
gesprengt hat’s den Radkasten.
Ja, ja!
Wie sie ganz zuletzt ist gesehen worden
ostwärts ist sie losgeflogen,
hinter sich sechs Junge,
ostwärts mit Quong, Quong.
Ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja,ja!
Text: Bert Brecht (1943)
Melodie: Hanns Eisler (1955)
Anmerkung:
„Die haltbare Graugans“ ist die Nachdichtung eines amerikanischen Volksliedes. Naomi Replansky, die zu einem Kreis von Schülern gehörte, den Brecht in seinem amerikanischen Exil in Santa Monica um sich versammelte, spielte ihm eine Schallplatte vor, auf der der schwarze Sänger „Leadbelly“ (Huddie Ledbetter) „The Grey Goose“ sang. Das regte ihn zu der freien Übertragung an, deren symbolischer Schluss – der Flug der Graugans mit ihren Jungen gen Osten – übrigens Brechts eigene politische Pointe ist.*
Zuweilen dünkt es mich, als trübe
geheime Sehnsucht deinen Blick.
Ich kenn es wohl dein Mißgeschick:
Verfehltes Leben, verfehlte Liebe
Du blickst so traurig, wiedergeben
kann ich dir nicht die Jugendzeit.
Unheilbar ist dein Herzeleid:
Verfehlte Liebe, verfehltes Leben.
At times it seems to me
there’s a secret silent longing in your eyes
Full well I know your life’s lost prize.
Ah, sad is living, bereft of loving.
Ah, would twere mine the power
of giving back to you your youthful years,
that I might stop your paines and tears.
Ah, lifeless loving. Ah, loveless living.
Text: Heinrich Heine (1825)
Melodie: Hanns Eisler (1953)
Übersetzung: Charles Fleischer
* aus: „Brecht Liederbuch“, herausgegeben und kommentiert von Fritz Henneberg, Suhrkamp-Verlag / Henschelverlag 1984
** Neudichtung: Martha Primavesi
*** planetlyrik.de
**** wikipedia
Der Abdruck der Texte erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Deutschen Verlages für Musik Leipzig und des Suhrkamp Verlages